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Unsere Schulzeit
 

1. Klassenfahrt mit Folgen

2. Die Schülermützen

3. Eine Mogelpackung

4. Klassenfahrt nach Göttingen

5. Der „lächerliche Zwerg“

6. Streik für „Hitzefrei“ 

7. Der „Ulk-Umzug“ – wir feiern Abitur, und wie!

8. Die Situation der Oberschule in Deutschland gestern, heute und morgen aus der Sicht früherer Domgymnasiasten (Abi - Jahrgang 1961).

9. Der hilfreiche Hubschrauber

10. Der leichtsinnige „Liliput“aner

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1. Klassenfahrt mit Folgen

Denkwürdige Klassenfahrt der 13 m nach Berlin im Jahre 1960

Gliederung

1. Unsere Schule, unsere Lehrer, unsere Klasse

2. Eine Klasse auf/in Fahrt

3. „Krumme Lanke“ und „Große Destille“

4. Die gefährliche Anstecknadel

5. Verschollen in Berlin

6. Gesucht, gefunden !.......Und was nun ?

7. Geheimnis und Versprechen

8. Nachbetrachtung

 

1. Unsere Schule, unsere Lehrer, unsere Klasse

Es begab sich aber zu der Zeit, als Studiendirektor Doß Leiter des Domgymnasiums zu Verden an der Aller war und Studienrat Schwarze Klassenlehrer und Mathematiklehrer der 13 m, dass wir unter deren Regime das Brot der frühen Jahre, das heißt, die Schulausbildung erhielten und das Abitur auf dem mathematisch - naturwissenschaftlichen Zweig anstrebten.

Direktor Doß, der im folgenden kurz Doß genannt wird, lebt in unserer Erinnerung als eine Persönlichkeit, die Respekt einforderte. Er bemühte sich, die Schüler in Deutsch, hauptsächlich aber in Geschichte zu unterrichten. Auch von uns erwartete er im Geschichtsunterricht "kluge Antworten als geschulte Historiker", wie er ironisch zu sagen pflegte.

Studienrat Schwarze traktierte den Bildungsnachwuchs mit Physik und hauptsächlich mit Mathematik, einer genialen Mathematik etwas abseits ausgetretener Unterrichtspfade. Nicht jeder verstand sie, aber wir waren ja auch keine Genies.

Wenn die Schüler von ihm sprachen, wurde er „Zeus“ genannt. Wie Zeus, der Göttervater, konnte er lautstark und Angst erregend donnern. Aber sonst war er "Mensch "mit weichem Kern in rauer Schale. Dass er auf seinem Spezialgebiet, der Matrizenrechnung, Vorlesungen an der TH Hannover hielt, zeigte, dass an seiner Genialität wohl doch etwas dran war. Noch eine Kleinigkeit ist zum Verständnis der folgenden Geschichte zu erwähnen. Er trank gern ein Bier oder dergleichen; wenn es sich ergab, wohl auch mehrere. Es ergab sich des öfteren.--- Wir schätzten ihn als verständnisvollen Lehrer.

Wir, das waren damals 19 Schüler zwischen 18 und 20 Jahren, - Mädchen waren an unsere Schule nur in Ausnahmefällen zugelassen, das war damals so - die seit Jahren im Klassenverband der höheren Bildung mit Unterstützung ihrer Lehrer zustrebten, nicht immer erfolgreich gegen allzu menschliche Faulheit ankämpfend , aber dennoch einigermaßen sich bemühten.

Als trainierte Sportler übersprangen wir auch alle Hürden, um das Abitur im März 1961 anzusteuern . Wir waren eine erfolgreiche sportliche Klasse. Über die Hälfte von uns erhielt in Sport sehr gute Noten. Auch in den Grenzbereichen zwischen Schule und Freizeit waren wir tätig, sei es in der SMV (Schülermitverwaltung), Mitarbeit in der Bibliothek, Betreuung biologischer Ausstellungsstücke, in der Photo-AG, in der Astronomie-AG, um nur einiges zu nennen. Drei politisch sehr Interessierte waren Mitglieder in der "Jungen Union ", der Jugendorganisation der CDU. Die Neigung zur SPD war weniger ausgeprägt.

Darüber soll nicht vergessen werden, dass es eine Reihe von uns auch im Skat, Doppelkopf und dem dazugehörigen Biertrinken keine schlechte Figur machte.

Der Förderung des Reifeprozesses der Gymnasiasten pflegten wohl auch Klassenfahrten zu dienen. Von unserer Klassenfahrt im Jahre 1960 soll jetzt die Rede sein.

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2. Eine Klasse auf / in Fahrt

Gleich zu Beginn des Schuljahres - in jenen Zeiten fing das Schuljahr noch im Frühjahr an - war zu entscheiden, wohin uns die Klassenfahrt führen werde. Sie sollte ja auch etwas der Bildung dienen. Jedenfalls waren wir mit dem Angebot einverstanden, dass die große einwöchige Klassenfahrt nach Berlin gehen sollte.

Wir erinnern uns, Berlin war damals Vier- Sektoren- Stadt, die Mauer stand noch nicht, man konnte noch, von leichten Schikanen der östlichen Seite begleitet, von West- nach Ost-Berlin (und zurück!) fahren. Uns braven Kleinstädter reizte natürlich ein Ausflug in das große Berlin.

Der Status Berlins als Vier- Sektoren- Stadt war ein Kernthema der damaligen politischen Auseinandersetzung. Der Westen warf seinem östlichen Partner, besser Gegner, vor, er begrenzte die Freiheit in der gemeinsam zu verwaltenden Stadt. Die SBZ (Sowjetische Besatzungszone), so damals die offizielle Bezeichnung in der Bundesrepublik, versuchte mit schikanösen Maßnahmen die anwachsende Fluchtbewegung ihrer Bürger zu bremsen. Jedes Mittel war ihren Machthabern recht, um Freizügigkeit für die Bürger zu behindern. Außerdem erschwerte man den Bürgern der Bundesrepublik Besuche. In Berlin waren die verschiedenen Aktionen des Regimes besonders deutlich zu spüren. Für die Übergänge von West nach Ost dachten sich die östlichen Machthaber ständig neue Schikanen aus, so dass manche West-Berliner überhaupt nicht mehr in den Osten reisten. Politisch forderte man im Westen die Öffnung der Grenze, was natürlich keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. In der Bundesrepublik lautete die allgemeine Forderung: " Macht das Tor auf!" Zum Ausdruck der gemeinsamen politischen Überzeugung trugen viele Menschen eine Anstecknadel mit dem Emblem des Brandenburger Tores. Solch eine Anstecknadel wird noch eine Rolle spielen.

Wir fuhren also geschlossen mit dem Zug dorthin, nachdem wir die einschlägigen Ermahnungen über angemessenes Verhalten und Aufgeschlossenheit gegenüber politischen und kulturellen Veranstaltungen über uns ergehen lassen haben. Am......... kamen wir in Berlin an und bezogen unser Quartier in............ Damit wir uns in Berlin frei bewegen konnten, hatte jeder von uns für die Dauer unseres Aufenthaltes einen gültigen Fahrausweis der Berliner Verkehrs Betriebe (BVB) bekommen.

In den nächsten Tagen spulten wir das vorgesehene Programm ab, Besuch eines Basketball-Spiels der Harlem - Globetrotters im Sportpalast, die gerade in Berlin gastierten, Besuch der Museen in Ost-Berlin auf der Museumsinsel, Besuch des Olympiastadions, und anderes.

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3. „Krumme Lanke“ und „Große Destille“

Nach den manchmal ermüdenden Besichtigungen meldete sich gegen Abend außer dem Hunger auch der Durst. Wir pflegten uns dann behutsam von Zeus zu lösen und ratterten mit der U-Bahn wieder nach unserer Station Oscar - Helene - Heim oder gleich weiter zur " Krumme Lanke ". Eher zufällig hatten wir in der Nähe der U-Bahnstation eine kleine Gaststätte, die " Große Destille ", als unser " Stammlokal " für die wenigen Tage in Berlin gefunden.

Wir hatten aber ziemlich oft Durst. Dort genehmigten wir uns dann den einen oder anderen Klaren. Um den nicht so " trocken herunterzuwürgen ", war es natürlich angebracht, reichlich mit Bier zu spülen. Aber alles halb so schlimm. Die Berliner Brauereien brauchten keine Sonderschichten einzulegen. Ob wir allerdings am nächsten Morgen immer sehr frisch waren, diese Frage wollen wir nicht weiter vertiefen.

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4. Die gefährliche Anstecknadel

Nun kam ein Tag, an dem einiges schief ging. Bereits morgens, als wir uns auf unsere Fahrt nach Ost- Berlin zur Museumsinsel vorbereiteten, meldete Uli: " Ich habe meinen Fahrausweis verloren! " Ken als geborener Berliner erklärte sich sofort bereit, den Ausweis bei den Berliner Verkehrsbetrieben zu suchen. Er fuhr also stadtauswärts in Richtung Krumme Lanke, während die Klasse sich in Richtung Friedrichstraße in Bewegung setzte. Im Bahnhof Krumme Lanke erfuhr Ken, dass der Ausweis tatsächlich gefunden worden sei. Man hatte ihn zur allgemeinen Fundstelle, die sich im Bahnhof Gleisdreieck befand, weitergeleitet. Er fuhr also dorthin, wo er den Ausweis für Uli wieder in Empfang nahm. Dann eilte er der Klasse nach und holte Sie tatsächlich bald ein. Er hörte, wie die Klassenkameraden aus einem der vorderen Wagen seinen Namen riefen. Aus Zeitmangel stieg er hinten ein, sprang in der nächsten Station heraus und spurtete nach vorn. Das war aber die Station Friedrichstraße, der erste Bahnhof im Osten. Bekanntlich erlangte er später als größter Übergangsbahnhof von West nach Ost noch traurige Berühmtheit. Während Ken auf dem Bahnsteig noch lief, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er jetzt im Osten sei. Er nahm noch im Laufen sein Berlin - Abzeichen ab und steckte es in die Tasche. Dann war er wieder bei der Klasse; besonders Uli war froh, dass er seinen Ausweis wiederhatte. Doch der Zug fuhr nicht an, er blieb stehen. Nach einigen Minuten öffnete sich die Türe des Abteils, ein Uniformierter steuerte direkt auf Ken zu und forderte ihn auf mitzukommen. Ken wollte dem Folge leisten, doch da griff Zeus ein: " Ich bin der Klassenlehrer, was wollen Sie von meinem Schüler? "

Der Uniformierte: " Er muss mitkommen zu einem Verhör! ".

Zeus: " Dann möchte ich aber mitgehen! "

" Das dürfen Sie! " beschied ihn der Beamte.

Mit der Klasse wurde vereinbart, dass sie ihr Programm fortsetzen sollte. Zeus und Ken wollten sie nach dem Verhör auf der Museumsinsel wieder treffen. Zum Verhör wurden Zeus und Ken von dem Beamten in einem Innenraum des U-Bahnhofes geführt, und der Beamte ging mit Ken in einen abgedunkelten Raum. Zeus musste im Vorraum Platz nehmen. Von dort konnte er alles mit anhören. Das Verhör dauerte etwa zehn Minuten, die entscheidenden Fragen waren: " Warum tragen Sie das Abzeichen mit dem Brandenburger Tor? Ist das Tor nicht offen genug? "

Ken meinte, nein!

Der Beamte: " Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Abzeichen einziehe? "

Ken sagte " nein ", was sollte er sonst auch sagen.

Danach waren Zeus und Ken entlassen. Sie nahmen die nächste U-Bahn und fuhren hinter der Klasse her; die trafen sie in einem der Museen. Wir führten den Rest des Tagesprogramms im Osten der Stadt Berlin wie geplant durch.

Zeus war erleichtert, aber er grollte verhalten, solche Verwicklungen durch jugendliche politische Unbekümmertheit stressten ihn merklich. Auf dem Rückweg in den Westteil der Stadt fuhr die Klasse wieder über den Bahnhof Friedrichstraße. Ken saß neben Axel, der das aktuelle Exemplar des " Neuen Deutschland " in der Hand hielt und einige Sätze daraus vorlas. Die Klasse amüsierte sich, auch Ken und der ihm gegenüber sitzenden Klassenkamerad lachten laut während Axels Vorlesung. So fuhren wir in den Bahnhof Friedrichstraße ein. Der Zug hielt und blieb wiederum stehen. Nach einer Weile öffnete sich die Türe des Abteils und es kam ein Beamter der Zone herein. Er ging auf die Zeitungsleser zu und forderte sie auf, zum Verhör mitzukommen. Entnervt sprang Zeus auf und ging auf den Beamten zu: " Ich bin der Klassenlehrer, darf ich mitkommen? "

Der Uniformierte betrachtete Zeus, den er offensichtlich noch vom vorigen Verhör in Erinnerung hatte. Nach einer Weile meinte er: " In diesem Fall werde ich von einem Verhör Abstand nehmen! " Dann konnten wir weiterfahren.

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5. Verschollen in Berlin

Der Tag war also etwas strapaziös gewesen. Wir Schüler fühlten das Verlangen, die ganze Aufregung hinunterzuspülen. Aber noch am selben Abend stellten wir bei unserer Rückkehr in die Unterkunft fest, dass Zeus nicht da war. Wir konnten ihn jedenfalls den ganzen Abend nicht finden. Am nächsten Morgen war Zeus immer noch nicht da. Das beunruhigte uns, aber wir beschlossen, das vollständige Programm unserer Klassenreise auf eigene Faust und in eigener Regie weiter durchzuführen. Das klappte auch ganz gut. Unser Problem blieb aber und wurde immer drängender, Zeus wieder zu finden. Wir versuchten uns zu erklären, dass er wohl Bekannte getroffen habe und ein wenig " versackt " sei. Am Tag darauf war Zeus aber immer noch nicht da. Wir beratschlagten. In Verden anzurufen, kam für uns nicht in Frage.

Hans ergänzt später: “ Helmut und ich sind schließlich [abends] zur Kripo an den Argentinischen Platz gefahren, um Vermisstenmeldung zu erstatten. Wir trafen auf einen - wie ich heute denke - sehr verständnisvollen Beamten, der meinte, der Zeus würde sicher wiederkommen, andernfalls sollten wir am nächsten Tag noch mal wieder kommen. ”

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6. Gesucht, gefunden!....... und was nun?

Nächster Tag: Es wurde Nachmittag, wir mussten etwas unternehmen, da waren wir uns einig. Also machten sich vier von uns auf, um mit dem Bus in die Stadt zu fahren und bei der Polizei die Vermisstenmeldung aufzugeben. Als der Bus an einer großen Kreuzung halten musste, rief Eckhardt plötzlich: " Da ist Zeus! " " Wo? Wo? ". Er hatte ihn in einem Taxi am Straßenrand gesehen. Glücklicherweise war die nächste Haltestelle nicht weit. Die vier stürmten aus dem Bus, rannten zurück und was sahen sie da? Am Straßenrand stand das Taxi. Der verzweifelte Taxichauffeur versuchte vergeblich, aus seinem Fahrgast das Ziel der Fahrt herauszufragen. Der Fahrgast war tatsächlich Zeus!!!

Aber wie sah er aus? Schrammen im Gesicht, ein Pflaster, die Kleidung - milde gesagt - etwas ungeordnet, und er offensichtlich noch in einem Dunstkreis, der unabweislich auf kräftigen Alkoholgenuss hinwies.

Es ist kaum zu glauben, in der Millionenstadt Berlin fanden wir Zeus zufällig auf der Straße. Nun konnten wir uns um unseren jetzt sehr hilfsbedürftigen Lehrer kümmern, bis alles wieder in rechten Bahnen lief. Wo er in jenen zweieinhalb Tagen (und Nächten) gewesen war, haben wir nie erfahren. Wahrscheinlich ist er die ganze Zeit in Berlin umhergeirrt, um seinen Stress nach den Erlebnissen an der Grenze abzubauen. Dabei hatte er wohl eine andere Grenze überschritten.

Aber was nun? Wenn in Verden bekannt wurde, dass sich ein Lehrer als Aufsichtsperson von seinen Schutzbefohlenen in dieser Weise entfernt und sie alleingelassen hatte, wären Ermittlungen und Disziplinarmaßnahmen nicht nur wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher gewesen mit nachhaltigen Folgen.

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7. Das Geheimnis, das Versprechen

Natürlich wollten wir das nicht. Also beschlossen wir am gleichen Abend, während Zeus sich erholte, die ganze Angelegenheit totzuschweigen. Keiner sollte zu irgendjemandem, seien es Eltern, Freunde, Bekannte, etwas über dieses Berlin - Abenteuer. verlauten lassen. Es durfte einfach nicht stattgefunden haben, die Klassenfahrt war normal und erfolgreich verlaufen. Wir waren uns einig: das ist der einzig gangbare Weg zur Schonung unseres Lehrers. Das dachten wir damals, das denken wir noch heute.

Zeus schrieb nach Ausnüchterung ein langes Telegramm an Doß. Später erfuhren wir, dass wohl der wesentliche Inhalt in einem sarkastischer Dank bestand für die „hervorragende staatsbürgerliche Ausbildung“, die wir in der Schule ganz offensichtlich genossen hätten und die in Berlin konkret umgesetzt worden war. Besonders wurde der „Politprovokateur“ Ken genannt. Den genauen Text dieses Telegramms haben wir nie kennen gelernt

Auf der Rückreise im Zug nach Verden dauerte es eine Zeit, bis nach den diplomatischen Bemühungen aller Beteiligten die Risse zwischen Zeus und insbesondere Ken gekittet waren. Ken setzte durch, dass er wegen seines Verhaltens in Berlin keine Nachteile in der Schule erleiden dürfe. Andererseits konnte Zeus mit unserer Verschwiegenheit rechnen. So war es beschlossen und so geschah es. Zeus' Berlin - "Abenteuer" wurde nicht bekannt; immerhin erstaunlich, aber es war so.

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8. Nachbetrachtung

Wir 19 Oberprimaner machten alle im Frühjahr 1961 unser Abitur. Wie wir hörten, hatte sich Zeus in diversen Lehrer- Konferenzen äußerst energisch für das erfolgreiche Abschneiden einiger auf der Kippe stehender „Wackelkandidaten“ eingesetzt.

In den darauf folgenden Jahren sahen wir Zeus bei allen unseren Abi - Feiern, zu denen wir uns anfangs jedes Jahr, später alle fünf Jahre in Verden trafen. Zu seinem 90. Geburtstags im Jahre 1997 besuchten wir ihn in seiner Wohnung in Verden. Vor wenigen Jahren ist er dort, über 90 Jahre alt, verstorben.

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2. Die Schülermützen

Wer kam eigentlich auf den Gedanken mit den Schülermützen ? Wir wissen es nicht mehr. Jedenfalls tauchte bei uns in der 11. Klasse auf einmal der Gedanke auf, dass wir als Schüler des Domgymnasiums zum Zeichen der Zugehörigkeit zu einer renommierten Schule und als sichtbarer Ausdruck der Zusammengehörigkeit unserer Schulklasse uns kleidungsmässig unterscheidbar von anderen abheben sollten.

Schuluniformen nach englischem Vorbild kamen allein aus Kostengründen nicht in Frage. Außerdem wäre der Widerstand von Schule und Elternhaus wohl schwer zu überwinden gewesen. Aber Mützen, Schülermützen, wie sie in Büchern und Filmen dargestellt wurden, übten einen unwiderstehlichen Reiz auf uns aus. Wir ahnten, dass ein Rückgriff auf " alte Zeiten " nicht ganz unproblematisch sein könnte. War so etwas nicht ein verpöntes Elitedenken ? Mit jugendlicher Unbekümmertheit verwarfen wir hier und da aufkommende Bedenken. Die Mehrheit von uns war dafür.

Aber wie sollte die Mütze aussehen? Schließlich einigten wir uns. Das war sie nun, eine samtig-rote Stoffkappe mit Stofffutter und kurzem Schirm in gleichem Stoff und gleicher Farbe. Sie kostete 7,00 DM (damals!), die Mehrzahl kaufte sie, einige schlossen sich aus prinzipiellen Erwägungen nicht an.

Nun waren wir besonders auf die Reaktion unserer Lehrer sehr gespannt, als wir dann tatsächlich mit diesen Mützen in der Schule erschienen. Anfangs geschah nichts. Der Lehrkörper war wohl in ungläubigem Staunen wie gelähmt. Er musste diese neue Erscheinung erst einmal einordnen. Einige Lehrer und auch einige Eltern vermittelten uns den Eindruck, dass wir nicht nur mit unerbittlicher Gegnerschaft rechnen mussten. Wir glaubten, verhaltenen Duldungswillen auszumachen. Es fand eine Lehrerkonferenz statt. Die Staats-, ich meine, Schulräson siegte. Die Schule entschied sich dafür, uns das Tragen der Mützen in der Schule zu untersagen.

Wir trugen sie dann außerhalb der Schule weiter. Es ging kein Aufschrei der Empörung durch unser Städtchen Verden, wenn wir mit diesen Mützen auftraten. Im großen Ganzen nahm man das so hin.

Es dauerte nicht lange, dann tauchten Epigonen auf; die Schüler unterer Klassen fanden die Ideen wohl als nette Abwechslung nachahmenswert (heute würden sie sagen " cool ") und begannen ähnliche Mützen in abweichender Farbe zu tragen.

Kurz und gut, nach einer Weile ebbte die Begeisterung ab und die Mützen verschwanden wieder.

War die Idee denn wirklich Ausdruck eines elitären Standesbewusstseins ? Aber woher hätten wir das denn damals nehmen sollen? Wir sahen es also nicht so. Wir wollten neben der Freude am Überraschungseffekt wohl etwas anderes ausdrücken, nämlich, dass wir uns nicht als namenlose Masse fühlten. Wir gehörten einer Gruppe (Schulklasse) an, die sich an anspruchsvollen Bildungszielen orientierte mit der Bereitschaft, sich höheren Anforderungen zu stellen. Ist so etwas im Grunde nicht begrüßenswert?

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3. Eine Mogelpackung

Allgemeine Betrachtungen

Wer uns weismachen will, er habe in der Schulzeit nie gemogelt, der mogelt schon wieder. Widerspricht da etwa jemand? Wir unterschieden uns an unserer Schule in dieser Hinsicht nicht von Schülern anderer Schulen.

Bei manchen Schüler war es die bittere Notwendigkeit, der Kampf um's Überleben in der Schule, mancher betrieb das sportlich. Heute würde man das wohl "survival-training" nennen.

Die Fronten waren klar: hier die Schüler, da die Lehrer. Was die einen an Wagemut, Kreativität hineinsteckten, mussten die anderen herausfinden und abwehren.

Natürlich war Mogeln besonders bei Klassenarbeiten mit Strafen belegt. Die reichten vom mündlichen Verweis über harten Tadel, Einzug etwaiger Hilfsmittel, über Eintragung ins Kassenbuch, "blauen Brief" an die Eltern bis zum "consilium abeundi", dem "Rat" abzugehen, wie es auf deutsch so schön heißt. Mogeln war also mit Risiko verbunden. Wer wiederholt erwischt wurde, musste mit empfindlichen Strafen rechnen.

Der geneigte Leser wird vielleicht die Stirn runzeln, den Zeigefinger erheben und moralische Kategorien anführen wie "Betrug " , "Täuschung " , "Verboten zuwiderhandeln", "unerlaubtes Verschaffen von Vorteilen", Ungerechtigkeit anderen gegenüber usw.. Aber in unseren Erzählungen soll diesem "verwerflichen Tun" die amüsante, die zum Schmunzeln führende Seite abgewonnen werden. Mancher Leser wird noch an eigene Erlebnisse denken, ist es nicht so? Vielleicht hatte er uns sogar in dieser Beziehung übertrumpft. So sei es denn!

Für Mathe- und Physikarbeiten durften wir unsere Logarithmen-Tafeln mitbringen, (wie wir hören, können heute Schüler ihre elektronisch verfügbaren Formelsammlungen benutzen). Was taten wir damit? In einzelne Seiten und Register klebten wir gut vorbereitete Formelsammlungen und sonstiges zur Unterstützung des Gedächtnisses. Oder wir beklebten die Rückseiten der Rechenschieber – die gibt es heute nicht mehr - mit kleingeschriebenen Informationen. Manche schrieben sich Formeln oder Vokabeln auf Mini - Zettel in den Handflächen oder auf die Haut der Arme, vom Hemd verdeckt.

Lateinübersetzungen waren nicht einfach, für manchen auch unüberwindlich scheinende Hürde auf dem Hindernislauf zum Abitur. Besonders in der 10. Klasse wurde zum Abschluss der Mittelstufe von den Lehrern noch einmal kräftig "gesiebt".

Ein gutes Mittel, das aber einige logistische Anforderungen stellte, war, in den Tagen vor der nächsten Lateinarbeit darauf zu achten, welche seltenen Vokabeln unser Lehrer in der Übersetzung besonders hervorhob. Hatte man eine Anhäufung bestimmter Vokabeln ausfindig gemacht, fuhr eine kleine " Delegation" nach Bremen zu einer einschlägigen Bücherei. Dort versuchte sie aufgrund dieser speziellen Vokabeln die Textstelle ausfindig zu machen, aus der sie stammten. So gelang es mit etwas Glück, vorbereitet in die Lateinarbeit zu gehen. Das war ein Brauch, den schon viele Klassen vor uns gepflegt hatten.

Etwas Belehrendes

Aus pädagogischer Sicht kann man, wenn man will, auch nützliche Aspekte erkennen. Wer sich einen "Merkzettel " erarbeitet, beweist Organisationstalent, dann Sorgfalt bei der Textauswahl und Fähigkeit zur effektiven Gestaltung, zur Strukturierung eines Problems, denn er muss die richtige Auswahl treffen, eine klare Gliederung wählen und auf Übersichtlichkeit achten. Dazu muss er sich eingehend mit dem Stoff beschäftigen, und es hat sich in der Tat erwiesen, dass er nach der intensiven Beschäftigung mit dem Thema eigentlich diese Absicherung gar nicht mehr gebraucht hätte. Zum Mogeln waren auch Belastbarkeit, Stresswiderstand und Mut erforderlich. Das sind doch wichtige Eigenschaften für das spätere Berufsleben, oder nicht?

Jedenfalls war ein derartiges Mogeln in Schülerkreisen ein Kavaliersdelikt, und mancher verständnisvolle oder mindestens bequeme Lehrer ließ auch eine wohltuende Nachsicht walten.

Trick und Täuschung

Was gab das Repertoire der Lehrer zur Abwehr der listigen Schülertricks her? Die fundamentale und einfachste Möglichkeit war, mit furchtbaren Strafen zu drohen, eine andere, das Mogeln als verwerflichen Charakterzug zu brandmarken, weiterhin während der Prüfungsarbeiten wie ein Luchs durch die Reihen der Delinquenten, - ich meine: der schreibenden Schüler - zu schleichen und die Tische im Auge zu haben.

Ganz sicher glaubten sie zu gehen, wenn sie die Arbeiten in Räumen mit weit auseinander stehenden Bänken schreiben ließen. Eine andere Möglichkeit war, mehrere Themen zu wählen und sie den Schülern so zuzuordnen, dass nebeneinander Sitzende unterschiedliche Aufgaben erhielten.

Dann gab es die Trickreichen, die sich scheinbar gleichgültig vorne an den Lehrertisch setzten und Zeitung lasen oder in Akten blätterten, dabei aber über die Papiere schauten, oder "Vati" Christoph, der während der Arbeit scheinbar durch das Fenster in's Grüne blickte, aber durch die spiegelnde Scheibe sehen wollte, was hinter ihm geschah. "Vati" Christoph trug eine starke Brille, hielt sich aber für besonders schlau und behauptete, dass Mogeln bei ihm sehr schwierig sei. Er demonstrierten uns einmal, ein welch feines Gehöre er habe. Er stellte sich mit dem Rücken zur Klasse an die Tafeln und veranlasste, dass sich zwei Schüler etwas zuflüsterten. Dann drehte er sich um und war stolz, wenn er nachweisen konnte, welche Schüler das waren. Das sollte wohl eine Warnung an uns sein. Na, ja... ....

Es ist also ersichtlich, dass ein stiller Kampf stattfand, wer seine Mittel erfolgreicher einsetzen konnte, Schüler oder Lehrer.

Die Maßnahmen der Schüler mussten der jeweiligen Situation angepasst sein. Was gab es da? Mit dem Nachbarn sich flüsternd zu verständigen, war eine primitive und recht unsichere Methode. Weiterhin konnte man die Aufmerksamkeit des Lehrers ablenken, kleine Infos im Füller verstecken, den man zum Beispiel einem weiter weg sitzenden Kameraden "auslieh ", einen Zettel zusammen geknäuelt über den Tisch oder die Bank schnipsten oder sogar mit Gummibändchen zum Adressaten schießen. Das konnte aber - wörtlich und im übertragenen Sinne - in’s Auge gehen und fatale Folgen haben, wenn Schussrichtung und Entfernung nicht klar beherrschbar waren.

Jetzt sollen einige markante Erlebnisse beschrieben werden.

Die Latein-Mafia

Schwere Stunden gab es für viele Klassenkameraden in der 10. Klasse vor dem Übergang in die Oberstufe. Da sollte noch einmal "gesiebt " werden. Mehrere " Wackelkandidaten" waren in Latein stark gefährdet. Im Chemiesaal sollte eine Lateinarbeit geschrieben werden. Während der Arbeit schien alles sehr ruhig zu sein, aber es wurden Texte aus „Klatschen“ und Informationen insgeheim ausgetauscht und weitergegeben.

Aber das Verhängnis nahm schon seinen Lauf. Einige Tage später erfuhren wir, dass sich mehrere Arbeiten wörtlich glichen und dass eine Untersuchung bevorstünde, um die vermutete Mogel - Mafia auszuheben. Wir konnten vorher gerade noch vereinbaren, dass wir den Lehrern keine andere Auskunft geben wollten als darauf zu beharren, man habe die Arbeit selbst geschrieben.

Die hochnotpeinliche Untersuchung begann. Es konnte nicht gut gehen; die Ähnlichkeiten von Arbeiten waren zu stark, die Indizien erdrückend. Die Mogler wurden erkannt. Sie wurden ins Klassenbuch eingetragen, die Eltern erhielten "blaue Briefe". Zur Strafe musste die Arbeit von allen unter strikter Aufsicht wiederholt werden. Die Auswirkungen zeigten sich zum Ende des Schuljahres. Einige gingen nach der 10. ab, einige blieben sitzen, andere "flüchteten" sich in eine "leichtere" Schule, zum Beispiel nach Scheeßel oder Bremen. Einer dieser unglücklichen Lateiner studierte dann später Medizin und übernahm als Dr. med. in Verden eine Arztpraxis.

Der Mogel-Musikant

Das Fach Musik endete nach der zwölften Klasse, die Schlussnote ging in das Abi - Zeugnis ein Jahr später ein. Zur Festlegung dieser Zensuren ließ unser damaliger Musiklehrer, Studienrat Dinnesen, genannt "Tünnes", ansonsten Lateinlehrer am Domgymnasium, eine Prüfungsarbeit schreiben.

Die musste auch der Unterprimaner Dieter über sich ergehen lassen. Der Musikunterricht an der Schule zählte ganz und gar nicht zu seinen favorisierten Fächern. Also setzte er sich vorher zu Hause hin und schrieb alles, was seiner Meinung nach für diese Arbeit wichtig sei, mit dünnem Bleistifte in kleiner Schrift so auf mehrere DIN-A 5 Blätter rotes Löschpapier, dass ihnen von weitem nichts anzusehen war. Er verwendete darauf viel Mühe und Sorgfalt.

Dann schrieben wir die Prüfungsarbeit im großen Musiksaal, weit auseinandergesetzt. Die Arbeit war so gut wie beendet, Dieter verglich noch einmal vorsichtig mit seinem mitgebrachten Merkzettel. Aber was war das? Auf einmal rief "Tünnes" : "Was haben Sie denn da?" Schon war er mit rotem Kopf da. Dieter sagte: "Ich bin sowieso fertig" und gab seine Arbeit ab. Tünnes betrachtete sich die roten Löschblätter mit den gewissenhaften Eintragungen und nahm sie mit. Seine Äußerungen und sein Gesicht verhießen nichts Gutes. Jeder kann sich vorstellen, dass Dieter in der Folgezeit recht bedrückt war in Erwartung etwaiger schwerwiegender Strafmaßnahmen.

Aber es geschah vorläufig nichts. Nach zwei Wochen verlas Tünnes die Zensuren. Als die Reihe an den Missetäter kam, duckte der sich, nicht mehr ein 1,90 m groß, sondern plötzlich einige Zentimeter kleiner geworden, besorgt tief in die Bank. Dann schaute ihn Tünnes an und vermerkte: "Also, was Sie da gemacht habe mit Ihren Spickzettel, das war nicht in Ordnung. Aber der Sorgfalt, mit der Sie den Zettel zusammengestellt haben, konnte ich entnehmen, dass Sie sich sehr bemüht haben und interessiert an Musik sind. Note: befriedigend!“ Erleichtert fand Dieter wieder zu seiner Größe von 1,90 m zurück. Da hatte doch tatsächlich der gute Tünnes sich und ihm eine goldene Brücke gebaut. Ihm sei Dank gesagt.

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4. Klassenfahrt nach Göttingen

Mit Klassenfahrten ist das so eine Sache. Die Schüler möchten da etwas erleben, oft das, was dem Kultusministerium oder der Schulleitung nicht unbedingt förderungswürdig erscheint. Außer der Pflege des Gemeinschaftsgeistes darf nämlich auch die Bildung nicht zu kurz kommen, zumindest soll in irgendeiner Weise durch entsprechend „seriöse" Erlebnisgehalte der „Reifeprozess“ gefördert werden.

So war das auch 1959. „Zeus", unser Klassenlehrer, schlug Göttingen als Zielort vor. Er holte unsere Meinung ein, die aber beileibe nicht ausschlaggebend zu sein brauchte. Wir stimmten zu. Warum ? Unserem Erlebnishunger kam entgegen, dass wir dort einmal studentisches Leben kennen lernen konnten. Nein, nicht nur durch den orientierenden Besuch einer Vorlesung an der Göttinger Uni, sondern auch durch Einladung zu studentischen Verbindungen. Das roch nach Erlebnis und schmeckte nach schäumendem Bier.

Wie wir von Vorgängerklassen wussten, gab es in der Göttinger Jugendherberge, die dann als Unterkunft zu dienen pflegte, in einem der ebenerdigen Schlafräume ein Fenster, das mit einem Vierkant leicht zu öffnen sei, während die anderen "ausbruchsicher" verschlossen waren.

Vom pädagogischen Standpunkt her gab die berühmte Göttinger Universitätsstadt das geeignete Ambiente ab, um die Schüler einen Hauch der geistigen Welt, der Forschung, der Bildung atmen zu lassen.

Nach dem Bezug der Unterkünfte in der Jugendherberge machten wir uns natürlich gleich daran, besagtes Fenster zu finden und zu probieren, ob es in der beschriebenen Weise zu öffnen war. Es war.

Das Programm der nächsten Tage sah Besichtigungen der Stadt, Besuch einer Theateraufführung und Besuch der Universität vor. Ganz offiziell stand auch zweimal der Besuch bei studentischen Verbindungen auf dem Programm; es bestanden persönliche Beziehungen zu Göttinger Verbindungsstudenten.

Für uns war dabei die Aussicht verlockend, in die Gepflogenheiten einer studentischen Kneipe mit ihren Ritualen eingeweiht zu werden, und nicht zuletzt begrüßten wir die willkommene Gelegenheit, kräftig in dieser Gesellschaft Bier trinken zu können. Unter Zeus' Obhut war alles wohl organisiert. Jede Kneipe sollte für uns bis 21 Uhr dauern, danach sorgte Zeus für pünktliche Rückkehr in die Jugendherberge. Fiel es ihm vielleicht auf, dass wir uns seinen Anweisungen ungewohnt widerspruchslos fügten und nicht „Zeit schinden" wollten?

Also waren wir pünktlich in der Herberge, verabschiedeten uns von Zeus zur Nachtruhe und warteten, bis wir glaubten, die Luft sei rein. Dann kam der Vierkant zum Einsatz und mehr als ein Dutzend unternehmenslustiger Unterprimaner kletterte durch das geöffnete Fenster. So waren wir bald wieder bei den Studenten und setzten unseren " Schnupperkurs in studentischer Freizeitgestaltung" fort. Die Studenten waren natürlich vorher eingeweiht worden. Sie legten aber verständlicherweise Wert darauf, nicht als Anstifter zu gelten (das waren sie auch nicht), falls wir ertappt würden. Einigen Klassenkameraden ging die Anpassung zu weit, sie machten sich „vorzeitig" auf den Heimweg. Die anderen tagten weiter. Wie lange ? Nun ja, so genau wissen wir das nicht mehr. Immerhin waren wir diszipliniert genug, geräuschlos durch das Fenster in die Schlafräume zu krabbeln und am nächsten Morgen einen halbwegs ausgeschlafenen Eindruck zu vermitteln.

Hatte Zeus wirklich nichts wahrgenommen oder wollte er, aus welchen Gründen auch immer, nichts merken? Über diesen nächtlichen Ausflügen soll nicht vergessen werden, dass wir tagsüber tatsächlich Eindrücke von Göttingen und seiner Universität erhielten und auch verarbeiteten. Denn Göttingen war schon im 19. Jahrhundert, zu Anfang des 20. Jahrhunderts und besonders dann in den Zwanzigern eines der Zentren der Geistes- und besonders der Naturwissenschaften. Wir erfuhren nachhaltig, welche Koryphäen der Forschung und wie viele Nobelpreisträger den Ruf dieser Bildungsstätte begründet und gesteigert hatten.

Auch wurde an diesem Ort manchen klar, welchen schwerwiegenden Verlust an hervorragenden Wissenschaftlern die unselige Zeit des Dritten Reiches auch für Göttingen und für Deutschland bedeutet. Es fällt uns heute schwer zu glauben, dass deutsche Wissenschaftler je wieder diese Weltgeltung erlangen könnten. Allenfalls ahnten wir das damals, im Laufe der folgenden Jahre bis heute hat sich das leider bestätigt.

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5. Der "lächerliche Zwerg" oder "im Zwergenland"

Ja, in den letzten 40-50 Jahren hat sich das Leben bei uns in Deutschland - und nicht nur da- stark verändert. Das ist sicher keine neue Erkenntnis. Zurückschauend sehen wir eine gleitende Entwicklung, die sich aber mit der Zeit beschleunigte.

Manche unserer Lehrer, die uns in den fünfziger Jahren unterrichteten, waren noch in der Kaiserzeit geboren. Die meisten wuchsen in den zwanziger und frühen dreißiger auf und hatten noch vor dem Krieg oder kurz danach ihre Berufsausbildung beendet. Diese Zeiten hatten ihr Denken, ihre Vorstellungswelt, mithin auch ihre Grundsätze der Schulerziehung geprägt. Das konnte sich dann in Strenge, in Autoritätsdenken , in mangelnder Diskussionsfähigkeit und -bereitschaft äußern. Dazu trugen die ersten Jahre der Nachkriegszeit mit ihren auch für Lehrer einschränkenden Bedingungen bei und hinterließen Spuren.

Ein kleines, in diesem Sinne typisches Erlebnis eines Klassenkameraden soll diese Situation beleuchten.

Studienrat Jansen, genannt " Itzka " Jansen, oft barsch, ein wenig cholerisch und unberechenbar, vermittelte an unserer Schule Deutsch-, Erdkunde - und Religionskenntnisse. Er gab sich streng und hierarchiebewusst. Ein Psychologe könnte das als Kompensation seines bescheidenen körperlichen Wuchses, er war knapp 1,60 m groß (oder besser klein !), deuten.

evor die " story " nun endlich beginnt, muss noch der andere Beteiligte erwähnt werden, in diesem Jahre 1960 der Unterprimaner Dieter, ein Schüler mit im großen und ganzen recht guten Schulleistungen, jedenfalls in dieser Hinsicht ungefährdet. Zum Verständnis der Geschichte muss weiterhin noch erwähnt werden, dass er ganz und gar nicht der Typ eines Schürzenjägers und in dieser Hinsicht weder positiv noch negativ aufgefallen war. Dieter war damals (und ist es heute noch) 1,90 m groß.

Also, eines Morgens kurz vor Schulbeginn strömten die Schüler wie gewöhnlich über die steinernen Stufen der Eingangstreppe, zwängten sich durch das Portal und verteilten sich vom großen Korridor im Erdgeschoss aus über die anderen Ebenen, um zu ihren Klassenräumen zu gelangen, unter ihnen auch Dieter.

Hinter der Eingangstür stand aber mit finsterer Miene Itzka Jansen und forderte den ahnungslosen Dieter barsch auf mitzukommen. Er ging also mit ihm den Flur entlang und fuhr ihn dann an: "Haben Sie es nicht nötig, mich zu grüßen? "

D.: " Tut mir leid! Wo war das? Ich habe Sie nicht gesehen. "

J.: " Das ist eine Unverschämtheit, Sie gingen mit einem Mädchen auf der anderen Straßenseite an mir vorbei. Was war das für ein Mädchen? "

D. : " Ich habe Sie nicht gesehen, es war dunkel, ich bin mit einem Mädchen spazieren gegangen, was ist denn dabei?"

J.: " Sagen Sie mir sofort den Namen des Mädchens, ich will wissen, wer das war. "

D.: " Den Namen sage ich Ihnen nicht, damit haben Sie gar nichts zu tun. "

Itzka explodierte förmlich und erging sich in weiteren unsinnigen Betrachtungen.

In der Zwischenzeit hatte sich ein dichter Kreis neugieriger Schüler angesammelt und umringte die beiden. War doch klar, ein solches Spektakel versprach höchsten Unterhaltungswert ! Dann erreichte Itzka den Höhepunkt seines Auftritts; er sah mich mit einem, wie er wohl vermeinte, vernichtenden Blick von ganz unten bis weit oben an (1,60 m gegen 1,90 m !) und zischte, " das werden Sie noch bereuen, Sie lächerlicher Zwerg, Sie !!! "

Ein Riesengelächter der Umstehenden schallte durch die ehrwürdigen Gänge unseres Domgymnasium. Itzka, aufs höchste gereizt, setzte noch einen drauf und schrie: " Ich werde dafür sorgen, dass Sie das Abitur nicht kriegen! " und schob ab in Richtung Lehrerzimmer. Lachend zerstreute sich die Menge, Dieter war nicht zum Lachen zumute, aber das gab sich bald.

Heute würde man wohl sagen, dieser Zwischenfall wirkte sich für ihn in den Augen der Mitschüler " image-fördernd " aus.

Ja, so etwas war damals möglich. Was würde wohl heute ein 19 - jähriger Schüler dem Lehrer erzählen, wenn der es wagte, ihn anzuschreien und zu fragen, mit welchem Mädchen er spazieren gegangen sei.

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6. Streik für hitzefrei - Der Schulstreik

"Hitzefrei!" Welcher Schüler kannte und ersehnte nicht dieses Zauberwort, um bei deutlich gestiegenen Außentemperaturen der Mühsal des Unterrichts entfliehen zu können ? Aber wer gab hitzefrei und unter welchen Bedingungen?

Zu unserer Zeit hing im kühlen Eingangstreppenhaus ein großes Thermometer, das nie von der Sonne beschienen wurde. Man hatte es wohl absichtlich an der kühlsten Stelle des gesamten Schulgebäudes installiert. Es diente der Außentemperatur - Anzeige. Wir hegten den starken Verdacht, dass dieses Thermometer lange nicht geeicht worden war. Es dauerte immer quälend lange, bis sich der widerstrebende Zeiger vorwärts bewegte.

Sobald es im Sommer die Sonne gut meinte und vom stahlblauen Himmel lachte, beobachteten die Schüler erwartungsvoll den Temperaturanstieg des Thermometers. Ab 25 Grad Celsius konnten, aber mussten sie nicht, mit " Hitzefrei " rechnen.

So war es auch an einem Julitag des Jahres 1959. Unsere 11m saß in dem damals neuen Anbau neben dem Zeichensaal im einem Klassenraum unter dem Dach, der sich bei Sonnenschein sehr schnell und nachhaltig aufzuheizen pflegte. Hoffnungsvoll legte also der mathematisch-naturwissenschaftliche Nachwuchs ein eigenes Thermometer auf die Zinkverkleidung der Außenfensterbank. Wie erwartet zeigte die Quecksilbersäule bald hohe Temperaturen an. Nun ja, in diesem Umfeld war das wohl nicht anders zu erwarten, aber für uns auf jeden Fall als willkommenes Argument dienlich. Wir meldeten also die Hitzebelastung "teacher " Meinecke, zu dieser Zeit stellvertretender Schulleiter. Auf seine trocken - humorvolle Art ließ er uns abblitzen. "In meinem Vokabular existiert das Wort "hitzefrei" nicht! Zeigen Sie mir den Duden, in dem es aufgeführt ist!" Damit waren wir entlassen.

Wir mussten also einen anderen Weg suchen. Einen Klassenkameraden schickten wir in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Schulsprecher in das Direktorium. Dort sollte er argumentieren, dass die Hitzebelastung einem sinnvollen Unterricht unzuträglich sei. " teacher " lächelte nachsichtig - überlegen und blieb bei seiner Meinung.

In den nächsten Tagen setzte sich das heiße Wetter fort. Weiterhin erhielten wir kein hitzefrei. Da uns die Hitze unzumutbar erschien, machten wir uns gemeinsam gegen 10:30 Uhr auf, marschierten die Treppen hinunter, kamen in den Eingangsbereich vor dem Portal und setzten uns auf die kühlen Steinstufen. Wir wollten "streiken". Dort saßen wir nun und warteten. Vorher hatten wir verabredet, dem sicher bald aufkreuzenden Lehrkörper auf Fragen nicht zu antworten, sondern stumm zu bleiben. Das wäre natürlich eine unerträgliche Missachtung der Schule gewaltigen und konnte von ihr als Provokation verstanden werden.

Anfangs geschah nichts. Dann schritt unser Sportlehrer Konrad auf seinem Weg zum Sportplatz der Schule an uns vorbei. Er erkundigte sich wie gewöhnlich freundlich und mäßig bewegt: " Was macht Ihr denn dar? Wir gaben nur ein kurzes "wir streiken für hitzefrei" von uns. Er zog amüsiert die Augenbrauen hoch, grinste und setzte mit der Bemerkung: "Dann streikt mal schön, Ihr Brüder, was? " seinem Weg fort.

Bei unserer Aktion hatten wir nicht ausreichend bedacht, dass wir in dieser Stunde ausgerechnet von unserem Klassenlehrer " Zeus " im Klassenraum erwartet wurden. Der war inzwischen dort gewesen, hatte niemanden vorgefunden, suchte uns und wurde von einem Kollegen aufgeklärt, dass wir auf den Steinstufen des Einganges saßen. Er erschien dann auch mit leicht flackerndem Blick, erhielt aber auf seine Fragen absprachegemäß keine Antwort. Er zog schließlich wütend ab. Wir frohlockten, unsere Siegeszuversicht stieg.

Es dauerte aber nicht lange, dann erschien teacher und begann uns scharfzüngig - autoritärer mal streng, mal mit beißendem Spott zu bearbeiten. Wir knickten psychologisch ein, der Streikt war beendet.

Freilich musste bei Außenstehenden der Eindruck entstehen, dass Zeus seine Klasse nicht im Griff hätte. Das war eine interne Rufschädigung für ihn, er ließ uns in nächster Zeit auch seinen Ärger spüren. Zu unseren Verdruss flatterten in den nächsten Tagen unseren Eltern " blaue Briefe " ins Haus. Dort hieß es dann zum Beispiel " ... ... und stellte sich in unverschämter Weise taub ... ... ".

Jedenfalls hatte unsere Klasse Einigkeit bewiesen. Zwei Tage später saßen wir nach der vierten Stunde in der von uns ansonsten gern zum Skat, Doppelkopf und Bierkonsum besuchten, schulnahen Gaststätte Beyer am von - Einem - Platz. Da flanierten Schüler vorbei, wir erfuhren, es sei jetzt hitzefrei gegeben worden, nur für die 11m, also für uns, nicht. Eine kleine Rache unserer Schulleitung, um uns einen Denkzettel zu verpassen. Da laut Stundenplan kein Unterricht mehr für uns vorgesehen war, ging dieser Schuss in' s Leere. Oder wollten die Lehrer mit diesem Spruch ohne Folgen nur ihr Gesicht wahren? Zurückblickend zeigte es sich wieder einmal, dass bei uns zwar bestraft wurde, aber Bestrafungen nicht auf die Spitze getrieben wurden. Unser Klassenlehrer grollte uns insgeheim noch lange, dass wir ihn - wenn auch unabsichtlich - bei unserem "Schulstreik" bloßgestellt hatten.

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7. Der "Ulk-Umzug" - wir feiern Abitur, und wie!

Einen ausführlichen Bericht über dieses Ereignis haben wir auf der Seite “Pompa iocosa” veröffentlicht.

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8. Die Situation der Oberschule in Deutschland gestern, heute und morgen aus der Sicht früherer Domgymnasiasten (Abi-Jahrgang 1961).

Betrachtungen zu diesem Thema haben wir auf der gesonderten Seite “Considerationes” veröffentlicht.

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9. Der hilfreiche Hubschrauber

Abitur, Prüfungszeit, Klausuren. Wir konnten nach der 12. Klasse wählen, (aber nicht abwählen wie heutzutage), ob wir Physik, Chemie oder Biologie vertiefen, um in einem dieser Fächer unsere Abiturarbeit zu schreiben. Wer sich für Biologie bei Studienrat Rudolf "Rudi " Beuthel entschieden hatte, saß also im Januar 1961 in einem Klassenraum, dessen Fenster auf unseren Sportplatz blickten. Wie das Thema der Arbeit lautete, hat inzwischen den Speicher unseres Gedächtnisses verlassen.

Im Laufe der analytischen Überlegungen kam bei jedem Prüfling insgeheim der Wunsch auf, seine Vermutungen und Ergebnisse mit denen der anderen zu vergleichen. Bis auf Bruchstücke eines Meinungsaustausch , der von" Rudi " allerdings nicht mit äußerster Härte unterbunden wurde, schmorte jeder im eigenen Saft.

Es herrschte also Gesprächsbedarf . Wir mussten aber davon ausgehen, dass wir bis zum Ende der Arbeit allein weiterwursteln mussten. Da geschah das völlig Überraschende, das Unfassbare. Motorenlärm näherte sich draußen, schwoll an, dröhnte über den Sportplatz. Ein Hubschrauber kurvte langsam herein, verhielt eine Weile über dem Platz und setzte dann zur Landung an.

Wie auf ein Kommando sprangen alle an die Fenster, auch "Rudi". In dem willkommenen Durcheinander tauschten wir eifrig und eilig unsere Ergebnisse aus. " Rudi " stand hilflos mitten im Raum, hob flehend die Hände und rief: " Kinder, das geht doch nicht, setzen Sie sich wieder hin. " Es dauerte natürlich eine Weile, bis alle ihren Informationshunger gestillt hatten und mit neuen Erkenntnissen versehen wieder über ihrer Arbeit saßen. Ein unglaublicher Zufall war uns zu Hilfe gekommen.

Soweit wir wissen, war vorher und wohl auch lange Zeit danach nie ein Hubschrauber auf unserem Schulsportplatz gelandet. Ob es ein Notfall oder ein vorgesehener Übungsflug war, ist uns heute nicht mehr bekannt.

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10. Der leichtsinnige „Liliput“aner

Wie bei einer mehrstündigen Klassenarbeit üblich führte der Lehrer in den Stunden, die ihm „weggenommen " wurden, Aufsicht. So saß auch Studienrat Suling, genannt „Mac“ Suling, vorn und überwachte uns mehr oder weniger gelangweilt bei unseren Bemühungen, lateinische Texte zu übersetzen, die sich uns zu verweigern schienen . Mac Suling unterrichtete am Domgymnasium Erdkunde und Englisch. Wir erinnern uns an ihn als einen hageren, drögen Bremer, der stark kurzsichtig war, so kurzsichtig, dass er oft Vorführungen von Bildern mittels eines Epidiaskops von hinten mit einem kleinen Feldstecher kommentieren musste.

Aber zurück zur Lateinarbeit. Links vorn saß Dieter grübelnd über seinem Text. An den Klippen einiger schwierigerer Vokabeln war er auf Grund geraten. Er dachte also, es sei für ihn ein leichtes, das kleine Liliput - Wörterbuch hervor zu ziehen und es unter dem Tisch zu befragen. Von Mac drohte wohl keine Entdeckungsgefahr, glaubte er.

Als er in das klein gedruckte Büchlein vertieft, einhändig blätterte, griff plötzlich geräuschlos ohne Vorwarnung einer Hand über den Tisch und ergriff den Liliput. Mac steckte ihn wortlos seelenruhig in seine Jackentasche und setzte sich wieder hin. Alles war so ruhig und unauffällig vor sich gegangen, dass nicht einmal Ken als Banknachbar etwas davon bemerkt hatte. Es geschah sonst weiter nichts. Man konnte das ganze auch als Bagatelle betrachten. Aber hochgradig peinlich war eben, dass ausgerechnet ein sehbehinderter Lehrer die kleine Mogelei entdeckt hatte.

Es bleibt nur noch zu berichten, dass nach einigen Wochen Mac dem Dieter auf dem Flur im Vorübergehen wortlos mit leichtem Lächeln den Liliput wieder zurückreichte. Dem „Liliput“aner blieb nichts anderes übrig als sich artig zu bedanken.

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